6 | Ein verlockendes Angebot

Die Halloweenparty war ein voller Erfolg. Nicht nur für mich, sondern auch für alle Teilnehmer. Am nächsten Tag hatten wir zwar ganz schön mit unserem Kater und den Aufräumarbeiten zu tun, aber auch das sollte die gute Stimmung auf dem Hof nicht trüben. Eine andere Sache würde allerdings bald meine Stimmung trüben.
„Hey Evelyn, was ist los? Du guckst so traurig.“, sagt Breanna und sieht mich besorgt an.
„Es ist nichts weiter. Rafe muss heute zu seinem Einsatz nach Afghanistan und ich mache mir nur Sorgen. Das ist alles.“, gebe ich nüchtern zurück.
„Wie das ist alles?! Das ist ja wohl schlimm genug! Es ist auch total verständlich, dass du dir Sorgen machst. Im Krieg kann viel passieren. Also wenn du reden willst, ich bin für dich da. Das weißt du. Ich möchte mich sowieso ein Mal mit dir unterhalten. Hättest du heute Abend Zeit?“
„Es wird schon alles gut gehen, aber Danke Breanna. Heute Abend hätte ich schon Zeit. Worum geht es denn?“
„Das wirst du dann heute Abend erfahren. Ich möchte das jetzt nicht zwischen Tür und Angel besprechen. Komm einfach gegen 18 Uhr zu uns, ich koche für uns und dann können wir in Ruhe reden.“
„Ja gern. Ist es denn was Schlimmes?“
„Nein, nichts Schlimmes. Es ist etwas sehr schönes, was dir jetzt auch sicherlich in der Zeit, wo Rafe weg ist helfen wird.“, sagt Breanna mit einem Augenzwinkern. „Und jetzt schlage ich vor, dass du dich auf den Weg zu Rafe machst.“
„OK, danke Breanna. Bis später.“, sage ich aufgeregt, hebe grüßend die Hand und laufe schnellen Schrittes zu meinem Auto. Da für Heute sowieso nur die Aufräumarbeiten der Halloweenparty auf dem Plan stehen, habe ich es gar nicht erst für nötig empfunden, mir Reitsachen anzuziehen. Die Pferde freuen sich sicher über einen freien Tag, zumal einige von ihnen Übermorgen wieder auf ein Turnier gehen.

Der gestrige Abend war mit Abstand einer der Schönsten, die ich je erleben durfte. Ich hätte nie gedacht, dass sich Rafe für mich interessieren würde, zumindest nicht so sehr, dass wir uns tatsächlich küssen würden. Wenn ich nur an unseren Kuss denke, läuft es mir heiß und kalt den Rücken runter. Rafe würde heute abreisen. Ich wusste, dass er noch in der Kaserne ist. Hoffentlich komme ich nicht zu spät! Ich trete aufs Gas. Kurze Zeit später fahre ich in das Armygelände von Pearl Harbor ein. Der relativ kleine Flugplatz ist mit alten Gebäuden gesäumt, in denen die Soldaten leben. Überall herrscht emsiges Treiben. Kampfflugzeuge stehen in Reih und Glied neben dem Rollfeld. Ich parke meinen Wagen auf einem gekennzeichneten Parkplatz und steige aus. Ich setze mir meine Sonnenbrille auf die Nase und lasse meinen Blick über das Areal schweifen. Einige Soldaten laufen gerade über das Rollfeld und grüßen mich mit einem Kopfnicken. Ich lächle ihnen freundlich entgegen und richte mein rotes Kleid. Es scheint nicht üblich zu sein, dass sich Frauen auf dem Armygelände aufhalten. Ich werde angestarrt wie ein Zootier. Ein Soldat kommt mit gestrafften Schultern auf mich zu:
„Mein Name ist Mayor Doolittle. Kann ich ihnen helfen?“, sagt der braun gebrannte, etwas ältere Kommandant.
„Mein Name ist Evelyn Engelbrecht-Greve. Ich suche Leutnant Rafe McCawly.“, sage ich freundlich zu ihm.
„Da haben sie aber Glück gehabt. Seine Einheit fliegt in 15 Minuten.“, sagt der Mayor trocken. Ich folge ihm zu einem riesigen Armyflugzeug. Um die Maschine herum stehen mehrere Soldaten, die ihre Koffer im Inneren der Maschine verstauen.
„McCawly!“, ruft der Mayor in die Menge. Rafe dreht sich um. Für eine Sekunde sieht er mich fassungslos an, dann salutiert er vor dem Mayor, der sich taktvoll zurück zieht. Mit gestrafften Schultern und unerschütterlicher Miene steht er vor mir.
„Evelyn, du bist wunderschön.“, ist das erste, was er sagt. Mir schnürt es die Kehle zu. „Was machst du hier?“, fragt er, obwohl er die Antwort kennt.
„Ich wollte dich noch ein Mal sehen, bevor du auf der anderen Seite der Welt bist.“, sage ich mit zittriger Stimme und bin den Tränen nahe. Rafe lächelt mich liebevoll an und nimmt mich in den Arm. Ich lege meinen Kopf an seine Brust und lausche seinem gleichmäßigen, kräftigen Herzschlag. Er seufzt leise, bevor er seine Umarmung löst.
„Hey, nicht weinen Evelyn. Ich komme wieder.“, sagt Rafe und streicht mir mit der Hand über die Wange, um eine Träne wegzuwischen.
„Ich weiß, dass du wieder kommen wirst. Ich habe noch etwas für dich.“, sage ich schniefend und krame in meiner Handtasche nach einem weißen Briefumschlag. „Der ist für dich. Bitte lies ihn erst, wenn ich weg bin.“, sage ich und reiche ihm den Brief.
„Du bist süß, weißt du das?“, sagt er liebevoll und gibt mir einen zärtlichen Kuss. Dann wird es Zeit, mich von ihm zu verabschieden. Die meisten Soldaten seiner Staffel befinden sich schon im Flugzeug.
„Sehen wir uns bald wieder?“, frage ich ihn mit zittriger Stimme.
„Wir sehen uns bald wieder, Evelyn.“, sagt Rafe im Brustton der Überzeugung.
„Ich werde hier auf dich warten, wenn du zurück kommst.“ Ich sehe ihm wehmütig nach, als er in Richtung Flugzeug geht. Es tut mir jetzt schon in der Seele weh, ihn gehen zu lassen, aber es ist wie er gesagt hat. Einen Soldaten muss man nicht bitten. Wenn er gebraucht wird, ist er da. Hoffentlich kommt er gesund zu mir zurück.
Nachdem die Maschine mit Rafe auf das Rollfeld gefahren ist, den Motor auf volle Touren gefahren hat und kurze Zeit später in der Luft ist, stehe ich noch immer auf dem Rollfeld und sehe in den Himmel. Vereinzelt kreuzen weiße Wolken den blauen Horizont. Der Wind weht mir mit einer leichten warmen Brise ins Gesicht. Er bringt den Duft des Ozeans mit, der in unmittelbarer Nähe ist. Ich schließe die Augen, atme kräftig durch und straffe die Schultern. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um in Gefühlsduseleien zu fallen. Breanna hat mich um 18 Uhr zu sich bestellt und wenn ich nicht zu spät kommen möchte, sollte ich mich beeilen.

Die Hofbesitzerin von Sporthorses James erwartet mich schon.
„Schön, dass du es einrichten konntest. Komm rein.“, sagt die rothaarige junge Frau, nachdem sie die Tür geöffnet hat.“
„Hallo Evelyn. Setz dich.“, sagt auch Logan und rückt mir einen Stuhl zurecht. Ich bedanke mich bei ihm und setze mich.
„Das Essen ist gleich fertig.“, kommt es da auch schon aus der Küche herübergeschallt.
„Soll ich dir was helfen?“, frage ich höflich.“
Nichts da! Du bist unser Gast. Du bleibst schön da sitzen und rührst dich nicht vom Fleck!“, kommt prompt die Antwort von meiner Chefin. Kurz darauf kommt Julie mit dem kleinen Sohnemann von Breanna und Logan um die Ecke gelaufen. Der kleine Fratz ist schon ganz schön flink auf den Beinen. Julie begrüßt mich freundlich und setzt Nathan in seinen Kinderstuhl. Der kleine Rotschopf sieht mich freundlich aus seinen silbergrauen Augen an und lacht. Ich mache ein paar Grimassen, was den kleinen Mann nur noch mehr zum Lachen bringt. Breanna kommt mit dem Essen zu uns.
„Heute gibt es, zur Feier des Tages, Ente mit Salzkartoffeln und Rotkohl. Dazu ein schöner Wein und für unseren Dreckspatz Kartoffelbrei mit Möhrchen.“, sagt Breanna feierlich und setzt sich neben ihren kleinen Sohn, um ihn bessre füttern zu können. Das Essen verläuft sehr angenehm. Wir plaudern über Gott und die Welt. Die Familie James ist wirklich eine sehr liebevolle Familie. Nach dem Essen bringt Logan seinen Sohn ins Bett und Julie geht in ihr Zimmer, um noch ein wenig Musik zu hören.
„Komm Evelyn, den Abwasch kann der Geschirrspüler machen, wir setzen uns ins Wohnzimmer.“, sagt Breanna, nachdem wir den Tisch abgeräumt und alles in den Geschirrspüler getan haben.
„Worüber möchtest du denn mit mir reden?“, stelle ich die Frage, die mir schon den ganzen Tag auf der Seele brennt.
„Ich möchte dir ein Angebot machen.“
„Und was für eins?“
„Ich möchte dir anbieten, Mitbesitzerin von Sporthorses James zu werden. Ich schaffe es zeitlich einfach nicht, alle Eintragungen und den ganzen Bürokram zu erledigen. Ich habe Nathan, der meine volle Aufmerksamkeit braucht und wir erwarten wieder Nachwuchs. Es ist einfach etwas zu viel.“, abwartend sieht mich Breanna an.
„Also Breanna, ich fühle mich sehr geehrt und beglückwünsche euch zu eurem baldigen Nachwuchs, aber ich weiß nicht, ob ich das schaffe.“, gestehe ich unsicher.
„Natürlich schaffst du das Evelyn! Gerade auch jetzt wo Rafe weg ist. Ich kann wirklich nachvollziehen wie du dich jetzt fühlen musst, aber es geht weiter und je mehr du dich ablenkst umso besser. Du bekommst natürlich eine Gehaltserhöhung, kannst deine Berittpferde behalten und vor allem kannst du dir ein Standbein in der Holsteiner Zucht aufbauen. Das ist die Gelegenheit zu zeigen, dass Holsteiner auf der ganzen Welt aufwachsen können und trotzdem spitzen Sportpferde sind!“
„Du weißt, dass das schon lange mein Traum ist…“, sage ich nachdenklich.
„Und ich gebe dir die Möglichkeit, ihn zu verwirklichen.“, sagt Breanna gelassen und nippt an ihrem Wein.
Gedankenverloren starre ich auf mein Weinglas: „Also gut, Breanna James, ich hoffe du weißt, worauf du dich einlässt. Ich nehme dein Angebot an!“, sage ich strahlend.
„Sehr schön! Das dachte ich mir, deshalb habe ich auch gleich einen Vertrag angefertigt, den du dir gerne in Ruhe durchlesen kannst.“, sagt sie glücklich und reicht mir den Vertrag, den ich mir sofort durchlese und unterschreibe. „Darauf stoßen wir an.“, sagt Breanna und hebt ihr Weinglas.
„Wahnsinn! Danke!“, sage ich überwältigt und nehme einen kräftigen Schluck von dem Rotwein.
Nachdem mich Breanna noch zur Tür begleitet hat und ich auf dem Innenhof von Sporthorses James stehe, merke ich erst, was für eine gewaltige Chance ich heute Abend bekommen habe. Ich kann das alles noch gar nicht richtig fassen, aber ich habe tatsächlich unterschrieben! Nachdem ich zu Hause angekommen bin, bin ich noch so aufgekratzt, dass ich gar nicht schlafen kann.

Am nächsten Morgen fühle ich mich wie von einem Lastwagen überfahren. Fast noch schlimmer als nach der Halloweenparty. Ich habe die halbe Nacht nicht schlafen könne, weil ich noch so aufgekratzt von dem Gespräch mit Breanna war.
Als ich auf Sporthorses James ankomme, werde ich sofort stürmisch von Breanna begrüßt, die mir im Schnellverfahren meine Aufgaben im Büro zuteilt. Ich versuche mir angestrengt, alles zu merken und unternehme dann, unter der Aufsicht von Breanna, einige Alleinversuche.
„Für´s Erste nicht schlecht. Es wäre schön, wenn du Morgens eine oder zwei Stunden für den Bürokram opfern würdest, das würde mir schon sehr viel helfen.“, sagt Breanna.
„Klar, das schaff ich schon. Falls ich Fragen habe, läufst du hier ja sicher irgendwo rum.“
Breanna nickt und verabschiedet sich, da sie mit Nathan und Julie in die Stadt möchte. Nach etwa einer Stunde Büroarbeit beschließe ich, dass es für den ersten Tag genug ist. Da meine Pferde Morgen auf ein Turnier gehen, möchte ich sie heute ein Mal locker reiten, um ein bisschen vorzufühlen, wie sie so drauf sind. Ich gehe also aus dem Büro auf die Stallgasse des Hauptstalles, in dem Thalia, die braune Württembergerin steht.
„Na Mausi, wollen wir starten?“, frage ich die neugierige Stute, die mich mit gespitzten Ohren ansieht. Ich schiebe die Boxentür auf und lege ihr das Halfter an, dann führe ich sie zum Putzplatz, um sie zu putzen. Ich lege ihr Sattel und Trense auf und gehe mit ihr auf den Reitplatz. Thalia ist sehr entspannt, deshalb mache ich nicht viel mit ihr und entlasse sie nach etwa 30 Minuten wieder. Zu ihrer Freude darf sie auf die Weide.
Die beiden Hengste, Karlsson und London sind bereits auf der Weide. Ich hole erst den hübschen Karlsson rein, um mit ihm die selbe Arbeit, wie mit Thalia zu machen. Anfangs wirkt er sehr unkonzentriert, was sich aber mit etwas Schenkelweichen wieder gibt. London ist überhaupt nicht begeistert von der Platzarbeit. Da der Fuchshengst generell ein etwas schwieriger Geselle ist, reite ich am langen Zügel und im Schritt vom Hof. Mein Weg führt direkt zum Strand. Hier auf Hawaii gibt es glücklicherweise Strandabschnitte, die nur für Reiter und Pferde zugelassen sind. Interessiert spitzt London die Ohren. Ich streiche ihm über den Hals und lasse ihm im weichen Sand antraben. Er hält den Hals edel geboren und steht am Zügel. Ich halte eine weiche Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul aufrecht. Ich merke schon, wie London langsam unruhig wird. Ihm ist das traben zu langweilig. Er möchte galoppieren, also tu ich ihm den Gefallen. Mit einem gewaltigen Satz springt der Hengst an. Seine Galoppade ist kraftvoll und raumgreifend. Ich lenke ihn etwas ins Wasser. Es spritzt an seinen Beinen hoch. Ich fühle mich, als könnte ich vor Glück platzen. Alles, was mir Sorgen bereitet scheint für diesen Moment in weite Ferne zu rücken. Ich genieße es, die kraftvollen Bewegungen des Trakehnerhengstes unter mir zu spüren. Auch London scheint zufrieden zu sein. Kein pullen, kein bocken, nur vollkommene Harmonie.

Nachdem ich mit meinem Hengst im Schritt den Hof erreiche, werde ich schon von Breanna erwartet: „Hey Evelyn! Da bist du ja endlich. Ich habe schon auf dich gewartet. Ich möchte dir etwas zeigen.“, sagt sie mit strahlenden Augen. „London sieht wirklich gut aus.“, sagt sie mit einem Blick auf den Hengst.
„Ja, es geht ihm auch gut. Er fühlt sich unglaublich an.“, sage ich stolz und klopfe dem Fuchs den Hals.
„Drück doch einfach Alexis den Hengst in die Hand und komm mit, es ist wichtig.“, sagt Breanna energisch und tritt unruhig von einem Fuß auf den anderen. Alexis hat ihren Namen gehört und komt folgsam angelaufen, um mir London abzunehmen.
„Danke.“, sage ich noch mit einem Lächeln zu ihr, bevor mich Breanna am Arm nimmt und in Richtung Hauptstall schleift.
„So liebe Evelyn, das hier werden deine ersten Schritte in die Holsteiner Welt sein, wenn du möchtest.“, verkündet Breanna strahlend und deutet auf 2 Pferde, die in einigem Abstand zueinander, am Putzplatz angebunden sind. „Die Stute ist Heavens Light. Sie gehört mir, aber ich möchte sie dir gern verkaufen, weil sie den Stamm 474A vertritt. Der Hengst ist Extreme Tense. Er hat zwei Nachkommen, von denen du die Holsteiner Stute auch noch haben kannst. Er ist gekört und hat Turniererfolge aufzuweisen, genau wie Heaven. Na, was sagst du?“, fragt Breanna und sieht mich erwartungsvoll an.
„Also… was soll ich dazu sagen? Ich… ich kann es nicht fassen! Wahnsinn! Danke Breanna!!!“, sage ich überschwänglich und falle ihr um den Hals. Breanna lacht und drückt mich herzlich an sich. Ich stimme in ihr Lachen ein und kann es wieder mal nicht fassen.
Ich kenne Heaven von einigen Trainingsritten und Turnieren mit Breanna. Sie ist eine wirklich tolle Stute und sehr artig. Tense kann schon mal aufmüpfig werden, aber so sind Hengste nun mal. Breanna zeigt mir noch das Fohlen von Tense, eine hübsche Stute namens Electra. Ich verliebe mich sofort in die 3 Pferde und unterschreibe kurz darauf mal wieder 3 Kaufverträge. Nachdem Breanna und ich die Pferde in ihre Boxen gebracht haben, mache ich mich daran, den Pferdetransporter für Morgen einzuräumen.

Danke, danke und danke :D
Hehe, na wenn das mal kein Zufall ist ;)

:D Manchmal ist die Welt ganz schön klein.

Danke. Ich guck gleich mal :)

Das ist wirklich sehr nett von dir :) Danke

:D Danke Jeanine.
Ich sollte vielleicht anfangen als Kinderanimateurin zu arbeiten xD