2. Die Feuerprobe

„Meldestelle, guten Morgen?!“, vernehme ich eine recht verschlafene Frauenstimme am anderen Ende der Leitung.
„Guten Morgen. Mein Name ist Evelyn Engelbrecht-Greve. Ich wollte fragen in welcher Abteilung ich in der Stutenschau für Warmblüter dran bin?“, fragte ich höflich.
„Engelbrecht-Greve… Moment bitte… Ah ja, da hab ich sie ja! Sie starten mit Thalia in der zweiten Abteilung.“
„Super, danke. Und wann beginnt die?“
„Die erste Abteilung hat 15 Starter und beginnt um 8 Uhr. Im Anschluss ist die Siegerehrung. Wenn es keine Verzögerungen gibt, beginnt die zweite Abteilung eine Stunde später.“
„Vielen Dank.“
„Gerne. Viel Glück und bis später.“
„Danke, bis später.“, ich lege auf. OK. 9 Uhr, das ist eine gute Zeit. Ich sollte es schaffen die Pferde in einer Stunde einzuflechten. Gestern habe ich nach dem Training noch die Pferde gewaschen und die Mähnen abgeteilt, damit ich heute nicht so viel zu tun habe. Ich schlaues Kerlchen, ich!
Die Sonne scheint wieder vom azurblauen Himmel. Es ist schon herrlich, täglich mit so viel Sonne verwöhnt zu werden! Ich gehe durch die Haustür und atme den angenehmen Duft des Ozeans tief ein. Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass ich mal direkt am Pazifik lebe. Frohen Mutes mache ich mich mit meinem Jeep auf den Weg zur Anlage der Familie James. Es sind bereits einige Arbeitskollegen und sicher auch Einsteller da, als ich um 7 Uhr den Hof betrete. Ich steuere direkt den Hauptstall an. Das rot geklinkerte große Gebäude bildet das Herzstück des Hofes. Hier sind vorwiegend Stuten, aber auch ein paar brave Wallache in luxuriösen Innenboxen untergebracht. So auch „meine“ Stute Thalia. Ich betrete die helle Stallgasse und begegne der freundlichen Azubine June Summers:
„Guten Morgen June! Na, hast du alle Pferde gefüttert?“
„Guten Morgen Evelyn. Ja, bin hier grade fertig.“, sagt der sympathische Teenager und schiebt die Futterkarre in den nächsten Stall. Ich sehe ihr lächelnd hinterher und mache mich dann auf den Weg zu Thalia. Die braune Stute steht gelassen in ihrer Box und kaut genüsslich ihr Kraftfutter.
„Guten Morgen meine Süße. Na, hast du gut geschlafen?“, frage ich die hübsche Braune, die zwar ihren Blick mit gespitzten Ohren auf mich richtet, aber weiterhin ihr Müsli zermalmt. Ich gehe durch die Stallgasse in die Sattelkammer und hole ihr Putzzeug, ihre Trense und ihr Transportequipment, um es vor ihre Box zu legen. Sie beobachtet mich genau und grummelt leise, als ich die Boxentür aufschiebe und zu ihr in die Box gehe. Ich streiche ihr zur Begrüßung über den Hals und beginne dann, ihr braunes Fell zu putzen. Sie lässt sich die morgendliche Massage durchaus wohlwollend gefallen und schnaubt zufrieden. Ich bedenke sie mit einem amüsierten Lächeln und kümmere mich nun um Mähne und Schweif. Den Schweif sprühe ich mit etwas Glanzspray ein, bürste ihn sorgfältig und flechte ihn für den Transport ein. Glücklicherweise sind noch alle Zöpfe in der schwarzen Mähne, so dass ich nur noch nach unten flechten muss und anschließend den Zopf hochstecke. Eingeflochten sieht Thalia wirklich wie ein professionelles Turnierpferd aus! Ich gehe aus der Box und verschließe sie sorgfältig hinter mir, dann hänge ich die Transportgamaschen an die Vorrichtung, die an jeder Box vorhanden ist und mache mich fröhlich pfeifend auf den Weg zum Hengststall.

„Na du! Hat dir schon mal jemand gesagt, dass wer pfeift, ziemlich viel Luft im Kopf hat?“, vernehme ich eine amüsierte Männerstimme. Ich sehe nach rechts und entdecke Logan, der breit grinsend und mit seinem Sohn, Nathan Romeo, auf dem Arm, auf mich zu kommt. „Nathan und ich haben dir den Transporter vollgetankt und abfahrbereit gemacht. Breanna hilft dir nachher beim Verladen. Ich muss mich jetzt erstmal um den kleinen Fratz hier kümmern.“, sagt Logan und zieht mit seinem Sohnemann von dannen. Ich sehe den beiden lächelnd hinterher und rufe noch „Danke!“, woraufhin Logan sich nur noch ein mal kurz umdreht und lächelt. Hach ja, Breanna hat wirklich ein riesen Glück mit ihrem Mann. Ich hoffe, mir läuft auch mal so jemand über den Weg… Jetzt aber genug der Träumereien! Es geht hier jetzt schließlich darum, die Pferde der Familie James auf einem Turnier zu präsentieren und das will ich nicht verhauen!
Als ich den Hengststall betrete, werde ich von aufgeregtem Wiehern empfangen. Vermutlich liegt es daran, dass ich noch nach Stute rieche. Die beiden Fuchshengste London Lights und Karlsson stehen 3 Boxen voneinander entfernt. Da Karlsson der Geselligere von beiden ist, beginne ich mit ihm. Wie auch bei Thalia hole ich erstmal das Putzzeug und die Transportgamaschen. Auch Karlsson scheint die morgendliche Massage sehr zu genießen. Seine Mähne ist bis auf zwei Zöpfe noch genau so, wie ich sie gestern eingeteilt habe. Auch hier kämme ich nur ein Mal durch, flechte nach unten und stecke dann die Zäpfe hoch.
„Du bist wirklich ein sehr hübscher Kerl.“, sage ich zu dem schönen Fuchshengst und streiche ihm über die Blesse. Nachdem Karlsson fertig ist, kommt nun mein lieber Freund London Lights an die Reihe. Sobald ich die Boxentür aufgeschoben habe, schaut er mich mürrisch mit angelegten Ohren an.
„He Freundchen, was machst du denn für ein Gesicht? Ich will dich doch nur putzen und mit dir aufs Turnier fahren. Du bekommst auch ein lecker Äpfelchen wenn du brav bist.“, sage ich zu dem bildschönen Hengst, der zwar immer noch mürrisch ist, sich aber von mir aufhalftern lässt. Das Putzen lässt er mehr oder weniger (eher weniger) entspannt über sich ergehen. Selbstverständlich hat er seine Mähne komplett zerzaust. Also noch mal alles auf Anfang und das Ganze von vorn. Immer wieder schüttelt der Trakehner seine Mähne, was das Einflechten wirklich sehr erschwert.
„So du alter Stinker, bevor du mir während der Fahrt wieder alle zunichte machst, nähe ich deine Zöpfe jetzt ein!“, murmle ich und krame Nadel und Faden aus der Putzkiste. Ich bin ja eigentlich kein Verfechter des Einnähens, aber bei solchen Kandidaten wie London ist es durchaus angebracht. Zur Belohnung bekommt der Hengst nun den versprochenen Apfel und siehe da, man glaubt es kaum, aber er kann seine Ohren wirklich freundlich und aufmerksam nach vorne richten. Ich gehe aus seiner Box, schließe die Tür und mache mich auf die Suche nach Breanna.

Ich werde im Hauptstall in ihrem Büro fündig. Ich klopfe 3 Mal an die Tür: „Ja bitte?“, vernehme ich ihre freundliche Stimme und trete ein.
„Guten Morgen Breanna. Logan sagte mir, du würdest mir beim Verladen helfen?“
„Ja sicher. Hast du die 3 schon transportfertig?“
„So gut wie. Ich muss ihnen nur noch die Transportgamaschen dran machen.“
„Gut, dann fangen wir mit den Hengsten an, damit wir eine Box frei lassen können und Thalia erst dann daneben stellen.“
„OK, ich hole die Beiden.“, sage ich, ache auf dem Absatz kehrt und komme wenige Minuten später mit Karlsson zum Transporter. Breanna steht neben der Rampe. Aufmerksam setzt Karlsson einen Huf vor den anderen und krabbelt so in den Transporter. Breanna und ich verschließen die seitliche Tür. Nun folgt London. Nur unwillig lässt er sich die Transportgamaschen anlegen, aber immerhin sind sie dran. Das Verladen an sich läuft auch gut. Man merkt den Pferden hier auf Sporthorses James halt doch an, dass sie regelmäßig auf Turnieren vorgestellt werden und somit das Verladen kein Problem für sie ist. Auch die braune Stute Thalia verhält sich mit ihren gerade mal 5 Jahren mustergültig. Nachdem alle Pferde verladen sind, steige ich hinter das Lenkrad. Breanna, Logan und Nathan Romeo winken mir zum Abschied.

Nach einer einstündigen Fahrt erreiche ich den TS Loarbach, pünktlich um 8:30 Uhr. Die erste Abteilung der Warmblutstutenschau ist bereits in vollem Gange. Es sind insgesamt 20 Starter. Ich sehe mir 2 Teilnehmer an, um mir vielleicht noch den ein oder anderen Trick abzuschauen. Es ist nicht das erste Mal, das ich Pferde für eine Zuchtveranstaltung mustere. Im Gegenteil, ich habe bereits Hengste für Körungen vorbereitet und sie auf diesen dann auch vorgestellt.
Ich gehe zurück zum Transporter und trense Thalia auf. Sie spitzt die Ohren, als sie die Rampe hinunter geht. Vorsichtig setzt sie einen Huf vor den anderen. Sie bläht die Nüstern und reckt den Hals. Wie eine Statue steht sie da. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen und führe die braune Stute ein paar Runden auf dem Abreiteplatz. Sie lässt sich durch den Trubel nicht ablenken, was ich der erst 5-jährigen Dame hoch anrechne. Ich trabe sie ein paar Mal an der Hand an, damit sie auf das vorbereitet ist, was gleich kommen wird.
„Als nächstes begrüßen wir in der Bahn, die Startnummer 124.“, höre ich die Lautsprecherdurchsage. Jetzt geht es los. Thalia spitzt die Ohren, wirkt aber nicht nervös. Ich stelle sie vor der Kommission auf und stelle sie vor. Auch das Schritt führen von den Richtern weg und wieder auf sie zu funktioniert prächtig. Bei der Trabtour bekommen wir Unterstützung von einem Peitschenführer, der den Pferden ordentlich Dampf macht. Thalia trabt schwungvoll los. Auch ich muss große Schritte machen, um mit ihr mithalten zu können. Am Ende stelle ich sie noch ein Mal auf und gehe dann hinaus. Zum Ende der Prüfung reicht unsere Vorstellung für einen hervorragenden 6.Platz. Leider sind wir nicht mehr in der Platzierung, da nur ¼ des Starterfeldes platziert wird. Trotzdem bin ich sehr stolz auf Thalia. Auch Karlsson macht seine Sache gut. Für ihn reicht es für den 7.Platz bei 17 Teilnehmern.
Als ich London vom Transporter hole, präsentiert er sich als ein absoluter Musterknabe. Kein Ohren anlegen, kein Zicken, alles läuft nach Plan. Vollkommen überrascht stelle ich den Hengst der Kommission vor, die sich sehr begeistert zeigt und dem wunderschönen Fuchshengst auf dem 2.Platz platziert. Ich bin überaus stolz auf meine 3 Pferde, da ich alle im vordersten Drittel platzieren konnte. Für das erste Turnier ist das doch schon mal nicht schlecht. Bevor es aber wieder nach Hause geht, muss ich die Pferde erst ein Mal wieder verladen. Das ist ja immer so eine Sache, wenn man allein ist. Karlsson macht keine Probleme und geht wie ein Lamm die Rampe hoch, aber London denkt sich: NÖ!
„Nun komm schon London! Stell dich nicht so an!“, schimpfe ich und versuche verzweifelt den Trakehner auf den Transporter zu verfrachten. Keine Chance. Er steht wie ein Fels in der Brandung und rührt sich keinen Millimeter.
„Na, brauchen sie hilfe?“, vernehme ich da eine bekannte Stimme. Der Pilot, der mich nach Hawaii geflogen hat, steht grinsend neben London.
„Ja, das wäre sehr nett. Er ist der Meinung, dass wir noch eine Weile hier bleiben.“, sage ich scherzhaft.
„Ja das sehe ich.“, grinst der Pilot. Er nimmt mir den Strick ab und krault London zwischen den Ohren. Zu meiner Verblüffung legt der Fuchs nicht mal die Ohren an. „Na komm du Guter, ab nach Hause.“, sagt der Pilot und geht in den Transporter. Als wäre nie was gewesen folgt ihm London. Mit offenem Mund sehe ich dem Spektakel zu.
„Wahnsinn! Wie haben Sie das gemacht?“, frage ich ihn fassungslos.
„Alles eine Frage der positiven Energie. Sie müssen an ihre Pferde glauben, dann wird das auch.“, sagt er nur grinsend zu mir und schiebt sich seine Fliegerbrille ins braune Haar. Die Sonne spiegelt sich in seinen braun-grünen Augen wieder, während er mich ungeniert mustert.
„Ich werde es mir merken.“, sage ich verlegen zu ihm und führe nun noch die Württembergerin in den Transporter. Nachdem ich die Stute „eingeparkt“ habe, komme ich die Rampe wieder herunter gelaufen und werde von dem Piloten charmant lächelnd empfangen. Er hilft mir, die Rampe zu schließen.
„Danke.“, sage ich und sehe ihm direkt in die Augen.
„Kein Problem.“, sagt er und setzt sich seine Sonnenbrille wieder auf die Nase. „Darf ich sie noch auf einen Drink einladen?“
„Ich muss noch fahren.“
„Das dachte ich mir. Sicherlich werden wir hier auch was Alkoholfreies für sie finden.“, gibt er frech zurück. Prompt ärgere ich mich darüber und werde ein wenig rot. So ein Mist! Das passiert mir sonst nie!
„Ja gut, aber ich habe nicht so viel Zeit. Ich möchte meine Pferde ungern zu lange auf dem Transporter stehen lassen.“
„Keine Sorge, wir trinken dann halt etwas schneller.“, feixt der Sunnyboy. Etwas bedäppert laufe ich neben dem hoch gewachsenen sportlichen jungen Mann her. Er scheint viele der Leute hier zu kennen. Zumindest grüßen ihn hier fast alle.

„So schöne Frau, Sie sind also noch nicht mal einen Tag hier und machen schon die Turnierplätze unsicher?“, sagt der Pilot und amüsiert sich daran, dass ich prompt rot werden. Schon zum zweiten Mal heute.
„Na ja, das ist doch mein Job.“, entgegne ich frech und trinke einen Schluck von dem Früchtecocktail, den er uns bestellt hat.
„Also gehe ich mal davon aus, dass sie bei Familie James als Bereiterin arbeiten, richtig?“
„Richtig. Und sie fliegen Sprühflugzeuge?“, kontere ich.
Er kann sich ein charmantes Lächeln nicht verkneifen: „Nur in meiner Freizeit.“
„Und was machen sie beruflich? Kühe melken?“, scherze ich und sehe ihn herausfordernd an.
„Das trifft es nicht ganz. Ich bin bei der U.S. Army.“, sagt er trocken. Ich verschlucke mich prompt an meinem Cocktail und sehe ihn mit großen Augen an.
„Muss ich dann ab jetzt vor ihnen salutieren?“
„Nun ja, das überlege ich mir noch.“, sagt er grinsend und sieht mir direkt in die Augen. „Darf ich denn nun als Offizier der U.S. Army ihren Namen erfahren?“
„Evelyn. Freut mich.“, sage ich und erwidere seinen Blick.
„Freut mich ebenso. Rafe McCawly.“ Wir lächeln uns gegenseitig an.
„Nun, Rafe McCawly, es wird langsam Zeit für mich zu gehen. Ich danke ihnen noch mal für ihre Hilfe.“, sage ich und stehe auf.
„Gerne doch Evelyn. Fahren sie vorsichtig. Wir sehen uns sicher bald wieder.“, sagt er zwinkernd und reicht mir die Hand. Ich schenke ihm noch ein zuckersüßes Lächeln und gehe dann zum Transporter.

Als ich auf dem Hof ankomme, herrscht reges Treiben im Innenhof. Die Bereiter trainieren ihre Pferde auf den jeweiligen Reitplätzen und die Trainer, Rick Rosenberg und Ben Atherton, stehen ihren Schützlingen mit Rat und Tat zur Seite. Ich parke den Transporter mitten auf dem Hof. Julie und June kommen gleich angelaufen, um mir beim Abladen zu helfen. Der rothaarigen Nicht von Breanna drücke ich Thalia in die Hand. Ich selbst übernehme London und June führt Karlsson in seine Box. Ich bedanke mich bei den Mädels, die mir noch beim ausräumen helfen.
„Hallo Evelyn. Na, wie lief es?“, fragt Breanna, die gerade mit ihrem Sohn über den Hof gelaufen kommt.
„Es war echt gut. Alle Pferde waren im vordersten Drittel. London konnte sich auf dem zweiten Platz behaupten.“, beantworte ich ihre Frage strahlend.
„Sehr schön. Gut gemacht. Feuerprobe bestanden.“, sagt sie und klopft mir anerkennend auf die Schulter. „Na dann pass mal auf, dass du Jeanine nicht zu viel Konkurrenz machst!“ Jeanine ist die erfolgreichste Einstellerin auf dem Hof. Sie und Breanna sind gute Freundinnen. Ich kenne sie von dem ein oder anderen Turnier. Sie ist eine sehr gute Springreiterin. Ihr Konkurrenz zu machen, wird nicht einfach sein.

Danke Breanna :)
Ich finde es gut, dass Jeanine so ist wie sie ist. Oder zumindest so, wie ich mir das aus dem bisher gelesenen zusammen reimen kann :) Wir werden mit ihr sicher noch viel Spaß haben *lach*

Bitte Jeanine :D
Ich hoffe es xD

rawr einer von der army.... Also hätt ich ja nicht schon einen Mann an meiner Seite, müsstest du mir einer seiner Kollegen vorstellen haha

:)